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NILM FORSCHUNG DISCOVERGY

Wie die künftige Geräteerkennung in der Industrie aussehen könnte und welche Weichen hier noch gestellt werden müssen

Discovergy Blog im Überblick

Discovergy Geräteerkennung

Von Karin Kugler / Simon Traschinsky. Mittwoch, 27.01.2020


Vom Frauenhofer Institut für Produktion und Automatisierung (IPA) hat unsere Forschungsabteilung ein detaillierter Fragenkatalog zum Thema NILM (Non Intrusive Load Monitoring) erreicht. Jennifer Günter untersucht für Ihre Forschungsfrage dabei, wie die Konzipierung und Validierung von NILM-Services (wie bspw. die Discovergy-Geräteerkennung) als Geschäftsmodell für die produzierende Industrie, aber auch den Endnutzer aussehen könnte. Die Leiterin unseres Forschungsbereichs, Karin Kugler, hat ihr dabei gerne Rede und Antwort gestanden. Herausgekommen ist dabei ein so ausführliches wie informatives Interview, welches wir gerne mit allen Interessierten im Rahmen unseres Blogs teilen möchten.


Jennifer Günter: Ein zentraler Punkt erfolgreicher Dienstleistungen ist das Adressieren konkreter Kundenwünsche. Um Kundenwünsche zu identifizieren ist jedoch zunächst ein tiefgreifendes Verständnis der Kundenwelt notwendig. Können sie einen fiktiven Kunden der produzierenden Industrie beschreiben, der potenziell an solch einer Dienstleistung interessiert wäre?


Karin Kugler: Prinzipiell sind all jene Unternehmen interessiert, denen eine Detailanalyse ihrer Verbraucher bzw. Geräte wichtig ist oder eventuell auch verschiedene Standorte hinsichtlich ihrer Energieeffizienz vergleichen wollen. Zudem würde ich sagen, dass Unternehmen, die sich für solche Ansätze interessieren, bereits relativ gut hinsichtlich Energie- und Digitalisierungsthemen aufgestellt sind. In dem Fall haben diese Unternehmen vielleicht bereits ein Energiemanagementsystem, haben auch schon diverse Messungen, dessen Komplexität sie reduzieren wollen oder haben mehrere Untermessungen laufen, die sie durch ein effizienteres System ablösen wollen.

 

Jennifer Günter: Das zentrale Wertangebot einer NILM-basierten Dienstleistung ist die Analyse des Energieverbrauchs zur Energieeffizienzoptimierung von industriellen Produktionsstätten. Unter Berücksichtigung Ihrer Erfahrungen in diesem Bereich, welche Vorteile würden sich bei einem industriellen Kunde durch eine absolute Energietransparenz ergeben?

 

Karin Kugler: Der Kunde möchte im Wesentlichen die Komplexität der Energieeffizienzmessung reduzieren und auf weitere Investitionen durch Untermessungen verzichten. Er kann dann natürlich identifizieren, welche Anlage wie viel und wann verbraucht sowie genaue Rückschlüsse darüber ziehen, welche Anlagen oder Bereiche die größten Verbraucher sind. Aber nicht nur in den Effizienzanalysen des Energiemanagement selbst können die Daten genutzt werden, sondern auch im Bereich der vorausschauenden Instandhaltung bzw. Predictive Maintenance, im Qualitätsmanagement bzw. der intelligenten Prozessüberwachung und im Controlling, um bspw. Energiekosten auf diverse Kostenträger umlegen zu können. NILM allein bringt dem Kunden also keinen Wert, erst die richtige Interpretation, also die mit Mehrwertdiensten angereicherte Komplettlösung, macht eine „nette Spielerei“ zum attraktiven Leistungsangebot, an dem industrielle Kunden wirklich interessiert sind.

 

Jennifer Günter: Eine solche NILM-Dienstleistung erfordert spezielles Data Science Know-How. Welche konkreten Kompetenzen müssten Ihrer Meinung nach vorhanden sein, um eine solche Leistung vollumfänglich erbringen zu können?

 

Karin Kugler: Genau. Die Grundvoraussetzung ist es natürlich gute Data Analysts zu haben, die fit in jeglichen Ansätzen des Machine Learnings sind. Besonders wichtig sind aber auch die dafür notwendigen Daten. Für die NILM-Modelle sind gelabelte Datasets ganz wichtig. Im Grunde läuft es so ab, dass die Mustererkennungsalgorithmen anhand von Daten trainiert werden, die aus Untermessungen der jeweiligen Geräte und Anlagen gewonnen werden. Anders als im Bereich der privaten Haushalte gibt es solche gelabelten Daten im industriellen Kontext nicht bzw. nicht frei zugänglich. Genau das ist die Herausforderung – diese sehr kundenspezifischen Daten sind nur sehr aufwändig zu erheben. Der initiale Aufwand ist demnach sehr hoch, aber wenn das System erstmal läuft, dann lässt es sich mit deutlich geringerem Aufwand auf weitere Produktionsbereiche oder sogar Standorte übertragen.

Dabei könnte jedoch der Vorteil genutzt werden, dass es einige Geräte und Anlagen gibt, die branchenübergreifend genutzt werden, wie z.B. Lüfter und Pumpen. Außerdem funktioniert ein gut trainiertes NILM-System z.B. bei jedem Bäcker gleich gut, ohne dass es für jede Bäckerei neu trainiert werden muss. Solch eine Branchenspezialisierung könnte eine Herangehensweise sein.

Außerdem sollte für die Zukunft der Open Source Ansatz stärker verfolgt werden, also die offene und gemeinschaftliche Nutzung, Erweiterung und Verwaltung von industriellen, gelabelten Daten. Unternehmen sind jedoch in der Regel sehr gehemmt, solche hochaufgelösten Daten bereitzustellen, daher sollte an einem Ansatz gearbeitet werden, wie solche Daten dennoch sicher und anonym bereitgestellt und genutzt werden können. Ein Schritt in diese Richtung, Daten anonymisiert zu solchen Zwecken bereitstellen zu können, geht bereits das Forschungsprojekt Open Meter an dem Discovergy ebenfalls beteiligt ist.

 

Jennifer Günter: Für die Erbringung einer solchen Dienstleistung wird ein digitales System zur Erfassung, Übertragung, Speicherung, Verarbeitung und Bereitstellung der Energiedaten und Analyseergebnisse notwendig sein. Wie könnte eine Architektur eines solchen Systems möglicherweise aussehen?

 

Karin Kugler: In unserem konkreten Fall ist das so, dass die Messeinheiten vor Ort direkt an der Anlage angebracht sind und die Daten über ein Gateway an unseren Server übertragen werden. Dort werden sie dann analysiert, aufbereitet und anschließend über die Frontend-Applikation dem Kunden zur Verfügung gestellt.

Tastet man einen Stromzähler, bzw. Smart Meter ab, dann hängt die mögliche Abtastfrequenz von der Hardware ab, die wiederum von dem Jahresverbrauch des Kunden abhängig ist. Kunden mit einem Jahresstromverbrauch bis 100.000 kWh verfügen in der Regel über einen SLP-Zähler, die im 1-2 Sekundenintervall abtasten. Bei einem Jahresverbrauch von über 100.000 kWh werden hingegen RLM-Zähler verwendet, welche die Messwerte hingegen maximal im Minutentakt aufnehmen – das ist für NILM eigentlich zu ungenau. An der Stelle setzt der Entwicklungsbereich hinsichtlich geeigneter, hochaufgelöster Hardware an.

Ein weiterer Aspekt, den man vor allem bei sehr hochaufgelösten Daten berücksichtigen muss, ist die Vorverarbeitung der gemessenen Daten, um die enorme Datenmenge zu reduzieren. Die Überlegung ist die, dass einfache Filter und Algorithmen mit überschaubarer Rechenkapazität direkt im Messgerät bzw. dem Gateway integriert sind und die Messwerte direkt so aufbereitet, dass sie unter Erhalt des wichtigen Informationsgehaltes für die Übertragung und Speicherung komprimiert werden.

 

Jennifer Günter: Für das Einlesen der benötigten Daten, ist die Inbetriebnahme einer technischen Infrastruktur beim Kunden notwendig. Was - glauben Sie - sind unter Berücksichtigung der industriellen Umgebung die Herausforderungen der Inbetriebnahme?

 

Karin Kugler: Wie bereits erwähnt stellt die Datenübertragung definitiv eine Herausforderungen dar. Dabei ist insbesondere der Sicherheitsaspekt bzw. der gesicherte Umgang mit den hochaufgelösten Verbrauchsdaten des Kunden ein kritischer Punkt und sollte innerhalb der technischen Infrastruktur berücksichtigt werden, da auf Basis solcher Daten sehr genaue Rückschlüsse auf die betrieblichen Prozesse gezogen werden können. Dabei könnte es auch durchaus eine Anforderung des Kunden sein, die Daten lediglich in seinem lokalen Netz zu speichern.

Eine physische Herausforderung ist z.B. das Identifizieren geeigneter Stellen für die notwendigen Untermessungen, denn das gestaltet sich in Anbetracht der komplexen Produktionsumgebungen nicht immer ganz einfach.

 

Jennifer Günter: Die Komplexität, die mit der industriellen Umgebung einhergeht, erfordert einen hochpersonalisierten Lösungsansatz. Nach der Inbetriebnahme der technischen Infrastruktur müssen weitere Vorkehrungen getroffen werden, wie bspw. das Trainieren der Modelle. Dafür können unterstützende Tätigkeiten durch den Kunden hilfreich oder sogar notwendig sein. Meine Frage an Sie: Welche unterstützenden Tätigkeiten könnten dies sein und wie würden Sie diese managen?

 

Karin Kugler: Ich denke, dass die wichtigste Aufgabe des Kunden in der Unterstützung des Labelns der Trainingsdaten liegt. Das kann dann auf vielerlei Wege geschehen: Bspw. kann der Kunde zu definierten Zeiten Anlagen an- und abschalten, sodass eine genaue Zuordnung der jeweiligen Anlage in den aggregierten Energiedaten erfolgen kann. Des Weiteren könnten auch Fertigungspläne hilfreich oder sogar notwendig sein, die Informationen über Produktionsabläufe und Laufzeiten enthalten. Natürlich muss auch da dem Kunden der Schutz seiner betriebsinternen Informationen zugesichert werden.

 

Jennifer Günter: Eine hochpersonalisierte Leistung erfordert eine ebenso personalisierte Preisstruktur. Dafür muss sowohl für die technische Inbetriebnahme und Trainingsphase des NILM-Systems als auch für die Folgephase des eigentlichen Energiemonitorings, ein geeignetes Erlösmodell gewählt werden. Was könnte Ihrer Meinung nach ein geeignetes Preissystem für den mehrstufigen Service-Prozess sein?

 

Karin Kugler: Wenn man von einem marktreifen Dienstleistungsangebot ausgeht, ist wahrscheinlich eine initiale Einmalzahlung für die Einrichtung, das Training und den Aufbau des Systems und anschließend ein andauerndes Abo-Modell mit monatlicher oder jährlicher Gebühr für die Nutzung der Mehrwertdienste. Als Bezugsgröße für die Preisbildung wäre meiner Meinung nach die Komplexität des Gesamtsystems, d.h. die Anzahl der zu messenden Geräte und Anlagen, sinnvoll.

 

Jennifer Günter: Wir bleiben in der finanziellen Dimension des Geschäftsmodells. Angenommen ein etabliertes Unternehmen und Komplettanbieter von Smart Metering-Lösungen, wie in Ihrem Fall, erweitert sein Dienstleistungsportfolio um einen industriellen NILM-Service. Unter Berücksichtigung Ihrer bereits vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen, mit welchen Kostentreibern wäre zu rechnen?

 

Karin Kugler: Ein maßgeblicher Kostentreiber ist die Entwicklung des Systems, sprich die Personalkosten für die Entwicklung der Modelle, die F&E Koste der notwendigen Hardware und der Aufbau der technischen Infrastruktur (Server, Backend, Frontend etc.). Ein maßgeblicher Treiber der laufenden Betriebskosten ist bspw. der Betrieb der Server. Eine Reduzierung der zu speichernden Daten durch bspw. Pre-Processing kann die benötigte Kapazität der Server deutlich reduzieren, wodurch die Betriebskosten eingedämmt werden können. In unserem konkreten Fall könnten wir auf bestehenden Ressourcen und Know-How aus dem Privatkundenbereich aufbauen. Unser Wissensvorsprung, den wir durch Forschungsarbeiten, wie z.B. im Bereich der Hochfrequenzmessung, aufgebaut haben, könnte uns einen Vorteil im Entwicklungsprozess und auch damit Kostenvorteile verschaffen. Darüber hinaus biete unser ganzheitlicher Ansatz als Komplettanbieter eine solide Basis, auf der eine solche Dienstleistung aufgesetzt werden könnte.

 

Jennifer Günter: Insbesondere im Rahmen von Make-or-Buy Entscheidungen kann es finanziell und strategisch sinnvoll sein, Geschäftspartner einzubinden. Welche Zulieferer, Dienstleister oder sonstige Partner könnten Ihrer Meinung nach zur Unterstützung der Geschäftsprozesse in Frage kommen?

 

Karin Kugler: Auf Grund der Komplexität einer solchen Dienstleistung sind Kooperationen meiner Meinung nach unabdingbar. Das fängt schon bei der Hardware bzw. der Architektur an – entwickelt man diese selbst, kauft man diese ein oder geht man dafür Kooperationen bei der Entwicklung und Herstellung ein? Dasselbe gilt auch für die Entwicklung der Software. Es kann durchaus Sinn machen, für die Entwicklung der Serverleistung, des Frontends, des Dashboards oder des Energiemanagement-Systems Kooperationspartner hinzuzuziehen, die in ebendiesen Bereichen besondere Kompetenzen vorweisen können. Insgesamt würde eine vollständig autonome Entwicklung den F&E-Prozess hemmen und deutlich verzögern.

 

Wir bedanken uns bei Frau Günter herzlichst für Ihre Anfrage