Zeitvariable Tarife: Wie Energieversorgern der Markthochlauf gelingt

Die Bundesregierung möchte mehr Tempo bei der Einführung zeitvariabler Stromtarife auf Basis intelligenter Stromsysteme, deshalb sollen sie ab 2025 für alle Energielieferanten verpflichtend sein – so lautet zumindest der Gesetzentwurf zum „Neustart der Digitalisierung der Energiewirtschaft“, der vom Bundeskabinett am 11. Januar 2023 verabschiedet wurde und nun das parlamentarische Verfahren durchlaufen soll. In diesem Artikel fassen wir zusammen, worauf es bei zeitvariablen Tarifen ankommt und wie Energieversorgern ein erfolgreicher Markthochlauf gelingen kann.
Markthochlauf zeitvariabler Tarife

Zeitvariable Tarife gelten als Kerninstrument der Energiewende. Im neuen Strommarktdesign sollen sie dafür sorgen, dass der sonst unflexible Stromverbrauch der deutschen Haushalte und Unternehmen in Bewegung kommt – hin zu kostengünstigeren Zeiten mit hoher Erzeugung erneuerbarer Energien und geringerer Netzbelastung. Die Erwartungen an neue, flexiblere Abrechnungsmodelle sind entsprechend hoch: seitens der Politiker und der Verbraucher, aber auch von Seiten einiger innovativer Lieferanten, die sich im Zuge deren Einführung bedeutende Marktanteile sichern wollen.

Damit zeitvariable Stromtarife bei den Verbrauchern ankommen, ist grundsätzlich eines erforderlich: intelligente Messsysteme. Aber auch im Umkehrschluss braucht der bisher schleppende Smart Meter zeitlich flexible Stromtarife, um den Verbrauchern die Vorteile des intelligenten Messsystems auf Anhieb greifbarer zu machen und der Digitalisierung der Netze neuen Schub zu verleihen. Ab Inkrafttreten des novellierten Messstellenbetriebsgesetzes werden also beide – die smarten Tarife und die smarten Zähler – Hand in Hand gehen und sich gegenseitig forcieren. Möchte der Kunden seinen Verbrauch flexibler gestalten und dadurch Energiekosten sparen, ist er auf die Installation eines intelligenten Messsystems angewiesen.

42 Prozent Einsparpotenzial für Kunden mit verschiebbaren Lasten

Für Stromkunden mit kompakten, verschiebbaren Lasten bergen zeitvariable Tarife ein hohes Potenzial. Wer sich mit Stromhandel beschäftigt, ist sich darüber im Klaren, dass Strompreise über den Tag hinweg keineswegs konstant sind. Vereinfacht ausgedrückt sind die Strompreise zu den Verbrauchsspitzen in den Morgen- und Abendstunden höher. Und im Jahr 2022 traten besonders große Strompreisunterschiede im Tagesverlauf auf.

Der von Agora Energiewende veröffentlichte Rückblick auf 2022 wirft einen genauen Blick darauf: Demnach lag 2022 der Börsenstrompreis ohne Abgaben, Umlagen, Netzentgelte und Steuern von 17 bis 18 Uhr – den im Schnitt teuersten Stunden – bei knapp 319 EUR/MWh (dies entspricht 32 ct/kWh). Die Solarstromeinspeisung drückte den Strompreis besonders in den sonnenstarken Mittagsstunden. Der im Jahresmittel günstigste Preis von 186 EUR/MWh (dies entspricht rund 19 ct/kWh) trat in den Stunden von 12 bis 13 Uhr auf. Ein flexibler Verbraucher, der seinen täglichen Stromverbrauch von der teuersten Stunde (17 bis 18 Uhr) in die günstigste Stunde (12 bis 13 Uhr) verlagern kann, hätte 2022 im Schnitt rund 42 Prozent des Börsenstrompreises einsparen können.


Insbesondere E-Auto-Besitzer sowie Betreiber von Wärmepumpen und Stromspeichern könnten davon profitieren. Aber auch Unternehmen oder Industriebetriebe mit punktuellen energieintensiven Prozessen, welche sich auf andere Zeitpunkte verlagern lassen, können sich zeitvariablen Stromtarifen zunutze machen. Dies gilt zunächst für die nächsten drei bis vier Jahre, in denen voraussichtlich die Strompreise auf hohem Niveau bleiben werden. Aber auch ab 2026, wenn ein Rückgang der Energiepreise infolge des Ausbaus der Erneuerbaren zu erwarten ist, werden zeitvariable Tarife weiterhin für Verbraucher rentabel sein, zumal die Anzahl an Zeitfenstern mit Strompreisen unter 5 ct/kWh deutlich zunehmen könnte.

Disruptives Potenzial für die traditionelle Energieversorgung

Mit zeitvariablen Tarifen geht jedoch ein erhebliches disruptives Potenzial einher, das sich negativ auf das klassische Commodity-Geschäft zahlreicher Stadtwerke und Lieferanten auswirken wird. Nach der Stadtwerkestudie 2022 von BDEW und EY betrachten zwar Energieversorger zeitvariablen Tarifen als ein wichtiges Instrument für die Weiterentwicklung des klassischen Energievertriebs. Doch die wenigsten befassen sich in ausreichendem Maße mit der Vorbereitung und Gestaltung dynamischer Stromtarife als ganzheitliches Lösungsangebot.

Dies ist insofern wichtig, da die Kundenanforderungen an zeitvariable Tarife um ein Vielfaches höher sind als bei festen Abrechnungsmodellen, bei denen die einzige Differenzierung zwischen den Wettbewerbern weitestgehend über den Preis erfolgt. In dieser Hinsicht müssen variable Tarife durch einen erweiterten Werkzeugkasten flankiert werden, wie etwa eine App zur Preise- und Verbrauchsvisualisierung, wodurch auch etwa die Steuerung großer Verbrauchseinrichtungen (Wallboxen, Wärmepumpen, Stromspeicher) oder Smart Home Geräte vorgenommen werden kann. Doch damit nicht genug: Auch die Bereitstellung oder die Vermittlung der Hardware und Messtechnik, um den Kunden den Zugang zur technischen Ausstattung zu erleichtern, lassen sich in Kombination mit zeitvariablen Tarifen durchaus sinnvoll und profitabel gestalten.

Die Integration von Hardware und Daten geht zweifellos mit großen Aufwänden einher, aber davon hängt letztlich der Erfolg eines variablen Tarifs ab, bei dem der Kunde seine Verbrauchsabläufe auf Grundlage der verschiedenen Preiszonen konfigurieren und optimal nutzen kann. Hier weisen bereits neue, innovative Player mit ihren Lösungen den Weg. Als besonders prominente Beispiele gelten hier Tibber und aWATTar, die auf die inexogy Messtechnik gesetzt haben, um mit beachtlichem Zuspruch die ersten stündlichen Tarife Deutschlands anzubieten. Aber auch andere Unternehmen, wie etwa Octopus Energy, sind in den Startlöchern, um den traditionellen, passiven Energieverbrauch auf ein neues Level zu heben.

Kooperationen zur Bewältigung der Transformation

Variable Tarife bieten in der Summe Möglichkeiten, stellen aber gleichzeitig die traditionelle Energieversorgung vor einen rapiden Wandel. Die Initiative zum richtigen Zeitpunkt zu ergreifen, kann mittelfristig bedeuten, einen wichtigen Kundenstamm zu binden, dessen Stromverbrauch durch die Umstellung auf Elektroautos oder Wärmepumpen signifikant steigen wird. Bis 2030 sollte es in Deutschland 15 Mio. Elektroautos und 6 Mio. Wärmepumpen geben, deren Besitzer sich schrittweise von klassischer Festpreisversorgung abwenden werden. Kooperationen sind hier der Schlüssel. Denn nur so kann es gelingen, die anstehende Transformation kostengünstig und effizient anzugehen und den Einstieg in die zeitvariablen Tarife nicht zu verschlafen.

Autor: Pablo Santiago

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